Die Erhebung lief zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar in der Deutschschweiz und (zeitlich leicht versetzt) in der Romandie.Knapp 1000 Personen haben an unserer nationalen VPOD-Umfrage «Zweite Welle im Sozialbereich: Wie läuft’s bei dir?» mitgemacht.
Die Ergebnisse illustrieren den hohen Druck, aber auch die enorme Einsatzbereitschaft der Berufsleute im Sozialen.
Homeoffice ist nicht möglich
Im Sozialbereich kann man nicht einfach ins Homeoffice: Fast drei Viertel (73 Prozent) arbeiten weiterhin ausschliesslich im Betrieb, ein knappes Viertel (23 Prozent) kann zumindest einzelne Tätigkeiten in Telearbeit erledigen. Vor Ort sind die vorgeschriebenen Schutzmassnahmen nur beschränkt mit der Arbeit kompatibel. Immerhin 92 Prozent geben an, dass der Maskenpflicht zumindest weitgehend nachgelebt wird. Anders verhält es sich mit dem Mindestabstand: Dieser kann von 31 Prozent nur teilweise, von 23 Prozent gar nicht eingehalten werden.
"Der Alltag ist nicht mehr derselbe"
Schutzmassnahmen erschweren die Arbeit, wie aus den freien Textfeldern der Umfrage deutlich hervorgeht. Die Maske behindert die Kommunikation, zumal dort, wo ohnehin schon Verständigungsschwierigkeiten herrschen (etwa bei Kleinkindern, bei Hörbehinderten oder in der der Beratung von Fremdsprachigen). Und das Distanzgebot kann in vielen Situationen schlicht nicht befolgt werden: «Ich arbeite mit Kindern mit einer Behinderung. Diese kommen trotzdem nahe und brauchen diese Nähe auch.» Probleme bereitet auch das Singverbot, vor allem in den Kitas; überhaupt: «Der normale Alltag ist nicht mehr derselbe ohne die Rituale.» Für einen grossen Teil der Antwortenden resultieren aus diesen Erschwernissen Stress und Frustration.
Ein altes Problem: Personalmangel
Gemäss 41 Prozent der Antwortenden herrscht im jeweiligen Betrieb Personalmangel. Von diesen geben lediglich 17 Prozent an, dass der Personalmangel allein durch Corona (Quarantäne, Erkrankungen, Schutz vulnerabler Personen) verschuldet ist. 25 Prozent sprechen von einem vorbestehenden Manko; 51 Prozent sagen, dass die schon zuvor bestehende Knappheit durch Covid-19 verschärft wurde.
Das hat auch Folgen für die Arbeitszeitberechnung. Die einen kämpfen mit Überstunden, die sie nicht oder nicht in der verlangten Frist abbauen können. Die anderen sind wegen vorübergehender Reduktion des Betriebs ins Minus geraten, oder es sind hart erarbeitete Ferienguthaben oder Zeitüberträge spurlos im Lockdown untergegangen. Der VPOD musste in solchen Fällen sehr häufig intervenieren, um die Interessen seiner Mitglieder zu schützen.
Weiterhin grosse Motivation
Trotz all dieser Schwierigkeiten zeigt die Erhebung auch, wie robust die Menschen sind, die im Sozialbereich arbeiten. Sie vermissen zwar echte Wertschätzung («Auf schöne Mails mit Lob, Lob und nochmals Lob kann ich langsam verzichten.»), aber sie empfinden ihre Arbeit weiterhin als befriedigend. Die Aussage «Übers Ganze gesehen bin ich mit meiner Arbeitssituation zufrieden» trifft für 19 Prozent vollkommen und für 55 Prozent eher zu.
Diese Werte sind sogar höher als in der Vor-Corona-Zeit. 2019 wurde bei einer VPOD-Umfrage die genau gleiche Aussage zur Diskussion gestellt; damals lag die Zufriedenheit im Sozialbereich bei 18 Prozent (vollkommen) bzw. 50 Prozent (eher). Diese Aussage zur Befindlichkeit ist umso erstaunlicher, als nicht wenige der Befragten sogar ihr privates Sozialleben weit über die Vorschriften hinaus zurückstellen, nur um die ihnen anvertrauten Menschen nicht zu gefährden («Ich verzichte total auf meinen ‘eigenen’ Freundeskreis.»).
Fazit: Es gibt weiterhin grossen Handlungsbedarf
- An sehr vielen Orten ist die Personaldecke dünn – sie war es oft schon vor Corona. Hier braucht es Abhilfe: kurzfristig etwa durch die Rückgewinnung von Berufsaussteigerinnen und Berufsaussteigern, mittelfristig durch eine deutliche Aufwertung der Arbeitsbedingungen in der Branche, durch eine Ausbildungsoffensive und durch eine bessere finanzielle Ausstattung.
- Mit gewisser Verzögerung wird Covid-19 auch in den Sozialdiensten die Arbeitslast stark erhöhen. Es muss daher alles getan werden, damit möglichst wenige Menschen coronabedingt in die Sozialhilfe fallen. Die vom Bundesrat beschlossene Verlängerung der Rahmenfrist in der Arbeitslosenversicherung ist dafür das richtige Mittel; mutmasslich wird es weitere Verlängerungen brauchen. Trotzdem sind die Sozialdienste gut beraten, sich für die kommenden Herausforderungen personell stark aufzustellen.
- Die Beschäftigten im Sozialbereich benötigen Wertschätzung. Sie gehören zu jenen, welche die Last der Krise in vorderster Reihe tragen und dabei auch persönliche Risiken schultern. Viele von ihnen verzichten auf einen grossen Teil ihres Privatlebens, auch über die behördlichen Vorgaben hinaus. Das verlangt Anerkennung.
- Corona erschwert den Alltag im Sozialbereich in vielfacher Hinsicht. Daher begrüsst der VPOD alles, was hilft, die Pandemie einzudämmen und mittelfristig zu bewältigen. Besonders in den Heimen wird man mit durchdachten Teststrategien ein Stück Normalität zurückgewinnen können. Hierfür braucht es einen Effort in den nächsten Wochen.
- Auch breites Impfen wird zu einer Entspannung der Situation führen. Es muss damit jetzt rasch vorwärtsgehen. Und speziell das Personal der «ersten Reihe», das im direkten engen Kontakt mit Bewohnerinnen und Klienten steht, muss prioritären Zugang zur Impfung erhalten.