Das Gesundheitspersonal bekam ein Gesicht: Pflegehelferinnen im Einsatz in Alters- und Pflegeheimen; Anästhesieschwestern, welche in kürzester Zeit zu Expertinnen in der Inten-sivpflege wurden; FaGe in der ambulanten Pflege; Rezeptionistinnen in den Spitälern, welche Tag und Nacht im Einsatz sind; Fahrer, die kranke Menschen transportieren; Radiologen, welche die Schäden des Virus in den Organen erfassen; das Reinigungspersonal, welches maximale Hygiene und Sauberkeit gewährleistet oder das Hotelleriepersonal, welches sich um das leibliche Wohl aller kümmert.
Die Medien berichteten ausgiebig und die Bevölkerung klatschte zum Dank. Das Gesundheitspersonal, das begreifen nun alle, ist systemrelevant.Ein Teil des Gesundheitspersonals kämpfte wochenlang Tag und Nacht um das Leben der COVID-19-PatientInnen.
Diese Arbeitnehmenden riskierten ihre Gesundheit, leisteten Überstunden und stemmten extralange Arbeitstage.
Dies alles, zumindest am Anfang, ohne genügend Schutzmaterial. Das hat Spuren hinterlassen. Einer aktuellen Studie des Unispitals Zürich und des Spitals Zolliker-berg zufolge leidet rund ein Viertel des Gesundheitspersonals seit Ausbruch der Pandemie unter Angst-, Stress- und Depressionssymptomen, und rund 14 Prozent des getesteten Personals habensich infiziert.
Der VPOD hat diverse Mal eingefordert, endlich dessen Gesundheitszustand systematisch zu erfassen und darüber regelmässig Bericht zu erstatten.
Der VPOD hat ebenfalls mehrfach eingefordert, dieser massiven Belastung in den vergangenen Wochen mit einer Entschädigung Rechnung zu tragen, dies etwa durch die Auszahlung einer 14. Monatslohnes. Bereits in den ersten Wochen der Krise wurde deutlich, dass es in der Schweiz an qualifiziertem Personal fehlt, insbesondere in der Intensivpflege.
Besonders in den Heimen wurde sichtbar, dass das Personal zudem auch wegen der grossen Defizite bei der Weiterbildung riesige Probleme bei der Bewältigung der Krise hat. Dies alles sind die Folgen jahrelanger Sparmassnahmen, nicht zuletzt verursacht durch die Einführung von Wettbewerb im Gesundheitswesen. Trotz der ausserordentlichen Belastung in der Intensivpflege wurden gleichzeitig andere Bereiche stillgelegt. So war das Personal in gewissen Spitälern zeitweilig ohne Arbeit, während es andernorts über Wochen stark am Anschlag war.
Es ist dies die Folge eines Gesundheitssystems, das auf Konkurrenz zwischen verschiedenen Einrichtungen basiert und zu diesem Unsinn führt. Eine konsequente Koordination des Gesundheitspersonals auf Kantons- und Bundesebene hätte es ermöglicht, die Gesundheits-versorgung in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgesetz zu organisieren. Da die Krise noch nicht überstanden ist und sich eine grosse Anzahl an COVID-19-Erkrankten in den Alters- und Pflegehei-men befindet, braucht es dringend eine verstärkte Zusammenarbeit der Gesundheitseinrichtungen.
Kein Back to normal, sondern endlich volle Anerkennung des Gesundheitspersonals
Die Gesundheitsberufe sind also systemrelevant. Nur: Was ist Politik und Arbeitgebern diese Tatsache wert, und welche Konsequenzen ziehen sie daraus? Die Debatten zur Gesundheitspolitik dre-hen sich seit Jahren um ein Thema: die Kosten. Die Einführung von Wettbewerb bzw. der Fallpauschalen hätte diese Kosten senken sollen. Passiert ist stattdessen, dass massiv auf dem Buckel des Gesundheitspersonals gespart wurde und die Kosten wie auch die Krankenkassenprämien trotzdem weiter gestiegen sind.
Passiert ist auch, dass die Gesundheitsversorgung sukzessive zu einem für Investoren lukrativen Milliardenmarkt umgebaut wird. Statt genügend und ausreichend qualifiziertes Gesundheitspersonal auszubilden und anzustellen, werden Hunderte von Millionen Franken in die Infrastruktur und administrative Prozesse gepumpt.
So steht immer weniger Zeit und Geld für die eigentliche Kernaufgabe des Gesundheitswesens zur Verfügung: die Pflege und Betreuung kranker und betagter Menschen.Zu den Folgen dieser verfehlten Gesundheitspolitik gehören eine bedenklich hohe Berufsausstiegsquote von fast 50 Prozent, eine sehr tiefe durchschnittliche Verweildauer der Gesundheitsangestellten und ein teilweise dramatischer Personalmangel (der sich gerade in der Pandemie ohne den grossen Einsatz der ausländischen Pflegekräfte – darunter die vielen GrenzgängerInnen – in einer drastischen Unterversorgung bemerkbar gemacht hätte).
Besonders betroffen ist die Langzeitpflege:
Viele Kantone und Gemeinden verfolgen eine Privatisierungs- und Auslagerungspolitik, die vor allem auch Alters- und Pflegeheime nicht verschont hat. Insbesondere seit der Einführung der neuen Pfle-gefinanzierung im Jahr 2011 hat der Finanzierungsdruck auf diese Institutionen stark zugenommen. Dieser wird oft direkt auf das Gesundheitspersonal abgewälzt, mit den bereits genannten Folgen. Ebenfalls aus Kostengründen findet zurzeit in allen Gesundheitsinstitutionen eine Verlagerung von der stationären zur ambulanten Versorgung statt. Diese politische gewollte Verlagerung wird auch die ambulanten Strukturen wie die gemeinnützige Spitex immer mehr unter Druck setzen, da sie für diesen Strukturwandel weder bereit noch genügend finanziert sind. Sie werden gleichzeitig immer mehr durch gewinnorientierte private pitexfirmen konkurrenziert, die dank schlechteren Arbeitsbedingungen und tieferen Löhnen geringere Kosten ausweisen und damit billigere Leistungen anbieten können.
Klar ist: es braucht dringend eine Aufwertung der Berufe im Gesundheitsbereich. Alle diese Beruf-gsuppen erwarten, dass in den kommenden Jahren in ihren Bereich investiert wird, insbesondere in die Aus- und Weiterbildungen und die Löhne.
Erwartet wird auch, dass die Institutionen endlich die Umkleidezeit als Arbeitszeit anrechnen. Bei Weitem nicht alle Institutionen setzen dies um und bringen das Personal so um einen Teil ihres Lohnes. Bessere Lösungen braucht es auch bei den Renten – der VPOD fordert eine volle Altersrente mit 60 – und bezüglich der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben.
Bis heute wartet das Gesundheitspersonal auf Antworten und Taten. Kein zusätzlicher Franken und auch keine Aufwertungsmassnahmen wurden bisher in Aussicht gestellt.
Politik muss bei der Finanzierung des Gesundheitswesens über die Bücher
Die Coronakrise hat die systemischen Mängel im Gesundheitswesen sichtbar gemacht. So war es ziemlich paradox, dass diverse Privatspitäler Kurzarbeit beantragten. Zwar hat dies auch mit dem verordneten temporären Aussetzen der Wahleingriffe zu tun, es ist aber dennoch bezeichnend, dass Spitäler, die im Normalbetrieb über die Zusatzversicherungen an der Gesundheit der Leute gutes Geld verdienen, in der Krise über die Kurzarbeit sofort staatliche Unterstützung beantragten.
Umso stossender ist es, dass viele dieser Spitäler nach Wiederaufnahme des Normalbetriebs erst einmal das Personal zum Nacharbeiten von Minusstunden zwingen wollten.
Dies ist rechtswidrig: In einer Pandemie darf das unternehmerische Risiko erst recht nicht auf die Angestellten abgewälzt werden. Finanziell hatten die Spitäler in der Krise massive Mehrausgaben zu verzeichnen: Die Aufrüstung und Erweiterung der Intensivstationen sowie die COVID-Behandlungen selbst sind sehr kostspielig.
Noch stärker ins Gewicht fielen aber die aufgrund des erwähnten Behandlungsstopps für Wahleingriffe entstandenen Mindereinnahmen, welche sich schweizweit auf schätzungsweise 2.5 Milliarden Franken beliefen.
Diese Fehlbeträge müssen durch den Bund und die Kantone ausfinanziert werden, keineswegs dürfen dafür Prämiengelder verwendet werden.
Auch zahlreiche Versicherte haben mit der Pandemie finanziell zu kämpfen, dies etwa, weil Personen mit nur leichten Symptomen den COVID-Test inkl. Zusatzkosten für Beratung und Diagnose grundsätzlich über ihre Franchise selbst bezahlen müssen. Die Prämienbelastung der Haushalte dürfte zudem während der kommenden Rezession noch stärker zunehmen.
Die Gewerkschaften fordern deshalb seit Jahren eine schweizweit verbindliche Belastungsgrenze der Krankenkassenprämien von maximal 10 Prozent der verfügbaren Haushaltseinkommen. Dies ist auch die Hauptforderung der gemeinsam mit der SP Schweiz im Januar 2020 eingereichten Prämienentlastungs-Initiative.
Der Bund muss nun endlich handeln und den Kantonen verbindliche Vorgaben für ausreichend hohe Prämienverbilligungen machen und diese mitfinanzieren.
Nun ist Zeit für Reformen – und es braucht einige
Eine soziale Finanzierung der Grundversicherung, eine bessere Entlöhnung und bessere Arbeitsbedingungen für das Personal im Gesundheitswesen, eine ausreichende Ausbildung von Fachpersonal im Inland: Dies alles sind langjährige Forderungen der Gewerkschaften, die mit der Coronapandemie wortwörtlich an Virulenz gewonnen haben.
Bundesrat und Parlament müssen zu diesen Fragen auch im Rahmen der Behandlung der Pflege- und der Prämienentlastungs-Initiative Stellung beziehen (bzw. haben dies bereits getan).
Fällt deren Antwort abschliessend unbefriedigend aus, dürfte es zu Volksabstimmungen kommen. Des Weiteren müssen bei den kommenden Debatten zu «Kostendämpfungen» die Abgeltungsmodalitäten überarbeitet werden. Die Systeme der Tarmed-Taxpunkte (ambulanter Bereich) und SwissDRG-Fallpauschalen (stationärer Bereich) verursachen zahlreiche Fehlanreize zur Über- und Unterversorgung.
Überversorgung ist teuer, weil unnötige Eingriffe vorgenommen werden und Unterversorgung ist teuer, weil nötige Eingriffe nicht vorgenommen werden, was Folgekosten mit sich bringt.
Komplex ist auch die Frage der Verfügbarkeit von lebensnotwendigen Medikamenten. Zwar werden hierzulande 70 Prozent des Generikamarktes durch zwei Schweizer Firmen abgedeckt, doch diese beziehen die notwendigen Wirkstoffe fast ausschliesslich von ein paar wenigen Fabriken in China. Dass eine solche einseitige Abhängigkeit vom Ausland problematisch ist, zeigte sich bereits vor der Coronakrise bei den Engpässen bei Antibiotika. Eine Wiederaufnahme der Produktion lebensnotwendiger Medikamente im Inland ist daher ernsthaft in Betracht zu ziehen
Elvira Wiegers VPOD, Beatriz Rosende SSP, Reto Wyss SGB aus dem SGB Dossier 136.